Ein Leben zwischen Esther und Waltraud
„Ich recherchiere und schreibe ein halbes Jahr lang für ein Solo-Programm“
Ganz schön bekloppt diese Frau. Trägt einen Kittel und Latschen, versteht was von Esoterik und müsste mal zum Kieferchirurgen. Esther Münch schlüpft als Kabarettistin und Sängerin gerne in verschiedene Rollen. Am besten ist sie aber im Reinemachen – als Waltraud Ehlert, die wohl bekannteste Reinigungskraft Bochums.
Entstanden ist „ihre Waltraud“ aus einer schwierigen Lebenssituation. Alleinerziehend mit kleinem Sohn, im Lehramt-Studium für Deutsch und Geschichte, packte Esther Münch das Schicksal beim Schopfe. Am Abend trat sie verkleidet mit Perücken und Kostümen in verschiedenen Rollen auf, am nächsten Tag verdiente sie ihr Geld mit einer halben Stelle in der Sozialarbeit.
Waltraud Ehlert, die Reinigungskraft mit dem sabbernden Boxer, Mann Willi und Sohn Helmut war beim Publikum besonders beliebt. Also beschloss die Dahlhauserin, Waltraud zu ihrem zweiten Ich zu machen. Dass die Schule nicht der richtige Ort für sie sein würde, wusste Esther Münch recht schnell. „Die Schüler fand ich toll, die Lehrer furchtbar.“
Wenn Esther Münch in einer ihrer vielen Rollen auf der Bühne steht und locker flockig über das Leben palavert, kommt es einem so vor, als rede sie frei Schnauze. Doch was auf der Bühne so spontan rüberkommt, ist harte Arbeit. „Ich recherchiere und schreibe ein halbes Jahr lang für ein Solo-Programm.“ Drei Zeitungen täglich und das Hirn ständig auf Schwamm-Modus eingestellt - so saugt sie ihre Inspiration aus Alltagsbegegnungen. Selbst im Fitness-Studio lässt ihr das Kopfkino keine Ruhe.
Im wahren Leben verschwimmen die Grenzen immer wieder zwischen Waltraud und Esther. Manchmal fragen Esther Münch die Leute schon mal nach ihrem sabbernden Boxer – aber der gehört doch Waltraud! Esther Münch und ihr Mann haben vier Windhunde. Auch in ihrer Beziehung taucht die penetrante Waltraud auf. „‘Waltraud, bist du das?‘, fragt mein Mann mich manchmal und ich weiß, dass ich dann über das Ziel hinaus geschossen bin.“
Esther Münch will für Frauen ein Vorbild sein: „Mein Lebensweg war nie ganz gerade. Ich passe nicht in ein Schema. Ich will Frauen Mut machen, individuell zu sein.“ Selbstbestimmung ist auch so eine Sache, die ihr am Herzen liegt. Wer sie anruft und bucht, hat sie direkt an der Strippe. „Kein Agent und kein Management - ich mache das alleine, weil ich mich nicht quer durch die Republik schicken lassen möchte.“
Esther Münch ist Lokalpatriotin. Früher habe sie aus Bochum weggewollt, doch das ist lange vorbei. „Ich mag die Stadt - vor allem auch wegen ihrer Schildbürgerhaften Züge.“ Zweimal wöchentlich, freitags und samstags, philosophiert sie im Lokalradio über ihre Stadt, Gott und die Welt. „Das ist meine Psychohygiene. Schließlich darf ich als Waltraud unliebsame Wahrheiten aussprechen, die Esther nie sagen würde. Ich bin da quasi des Volkes Stimme im überzogenen Rahmen.“
Im Februar erscheint das neue Programm von Waltraud Ehlert. Titel: „Best-Ätschas“. Wer Waltraud Ehlert, pardon Esther Münch, live sehen will, muss viel Zeit einplanen: „Unter drei Stunden lass ich niemanden raus - es sei denn, sie müssen mal zur Toilette.“