Mit Tempo 120 durch die Lüfte
In Altenbochum ist die Leidenschaft für Brieftauben immer noch lebendig
Ihr Star heißt „Zehnelf“ und schafft bis zu 120 km/h in der Stunde. Seit neun Jahren
schicken Thomas Bolz und Michael Bode gemeinsam Brieftauben auf die Reise. In ihrem Schlag an der Stoodtstraße in Altenbochum reiht sich Pokal an Pokal. Doch ihr Hobby ist vom Aussterben bedroht.
Es war der Großvater, der Bolz mit dem Brieftauben-Virus infiziert hat. Das war zu Jugendzeiten, als Bochum noch das Zentrum der „Taubenväter“ war. Damals gab es in der Stadt rund 1200 Züchter, heute sind es gerade mal 45. In Altenbochum sogar nur vier. „Die Glanzzeiten sind längst vorbei“, sagt sein Schlagpartner Michael Bode. „Heute muss man die Schläge mit der Lupe suchen.“
Rund hundert Tiere gehören zu ihrer Schlaggemeinschaft, die älteste Taube hat mit 20 Jahren ein fast schon biblisches Alter erreicht. Sie wird natürlich nur noch für die Zucht eingesetzt, wie alle guten Tiere, die Preise eingeflogen haben.
Im letzten Jahr war „Zehnelf“ der beste. Der seltsame Name entspricht seiner Registriernummer. Obwohl „Zehnelf“ erst ein Jahr alt war, hat er schon zwei erste, einen zweiten und einen vierten Platz auf seinem Konto.
Die Reisezeit geht von April bis September. In dieser Zeit wird an jedem Sonntag geflogen. Die weiteste Strecke beträgt rund 610 Kilometer – von Linz in Österreich zurück nach Altenbochum. „Was die Tauben leisten, ist echt der Hammer“, sagt Bode. Der Vergleich mit Hochleistungssportlern liegt da nicht fern.
Doch vor dem Erfolg kommt die Arbeit. Die Tiere müssen gepflegt und immer in Topform gehalten werden. Ohne gutes Futter und tägliches Training geht da gar nichts. Was in die Futtertröge kommt, ist eine Mischung aus Körnern, Gemüse und mehr. „Jeder hat da so seine Geheimrezepte“, sagt Bolz.
Ob eine Taube gut genährt ist, können die Züchter mit den Händen fühlen. „Die Tiere müssen prall sein“, sagen sie. „Sonst können sie am Wochenende keine Topleistung bringen.“
Bolz und Bode gehören zur Reisevereinigung „Bochum 05“, die ihren Standort in Stiepel hat, bis vor einigen Jahren aber noch im Kirchviertel zu Hause war. Sie war einst die größte Deutschlands, heute zählt sie trotz des Rückgangs der Taubenzüchter immer noch zum Mittelfeld.
Die Organisation der Flüge ist eine Großaufgabe. Schon am Tag zuvor macht sich ein Lkw mit rund 5500 Tauben auf den Weg. Es geht immer in Richtung Südosten. Das sind die Tauben so gewohnt. Aufgelassen werden sie jedoch nur, wenn am nächsten Morgen auch wirklich alles stimmt. Die Temperatur muss bei mindestens acht Grad liegen, die Sicht bei zehn Kilometern. Außerdem darf die Luftfeuchtigkeit nicht mehr als 90 Prozent betragen, die Wolkendecke darf nicht komplett geschlossen sein.
Wenn es dann endlich losgeht, gibt es für die Tauben kein Halten mehr. In rasendem Tempo geht es zurück in die Heimat - ohne Pause. Die Zeit wird mit Hilfe eines elektronischen Ringes gestoppt. Dafür gibt es am Schlag einen Kontakt, der mit einem Konstantiergerät (einer Art Registriergerät) verbunden ist.
Doch der Flug ist nicht ohne Risiken. Die größten Feinde der Tauben sind Gewitter und Raubvögel. Gegen Habichte, Sperber und Wanderfalken haben sie keine Chance. „Die Raubvögel stürzen sich im Flug auf sie“, sagt Bode. Auch aus diesem Grund bleiben die Tauben im Winter im Schlag. Dann haben die Räuber zu großen Hunger.
Dass die Brieftaubenzüchter so große Nachwuchs-Probleme haben, liegt auch an den Kosten. Ihr Hobby ist nämlich nicht gerade billig. Allein das Konstantiergerät kostet schon über 600 Euro. Und Geld wird mit den „Rennpferden des Bergmanns“ schon lange nicht mehr verdient. Zumindest nicht in Deutschland. Für Siege gibt es Pokale und Urkunden, Lob und Anerkennung.
Das war allerdings nicht immer so. In den 1980er Jahren lagen die Preisgelder für einen Sieg noch bei bis zu 8000
D-Mark. Ganz früher gab es sogar bis zu 25.000 Mark.
Diese Summen werden heute höchstens noch in Asien oder in den arabischen Emiraten eingeflogen. Dort kann mit Brieftauben immer noch großes Geld verdient werden. Vor allem auch durch den Verkauf. Wenn Bolz und Bode sich von Tieren trennen, geht es dagegen eher um ein bisschen „Futtergeld“.
Doch das ist den beiden egal. Bei ihnen steht die Leidenschaft im Mittelpunkt. Und die Spannung. Wenn ihre Tauben unterwegs sind, warten sie am Schlag und fiebern mit. Der Gruß der Taubenzüchter ist da natürlich Programm: „Gut Flug.“