Eine tonnenschwere Leidenschaft

Da kann es draußen noch so schütten: Julian Fuchs lässt sich davon nicht beirren. Als wir den Schüler aus Wiemelhausen treffen, besteht der Wetterbericht im Radio praktisch nur aus einem Wort: Dauerregen. Doch es ist Samstag. Und Samstage sind für den 18-Jährigen ganz besondere Tage. Dann macht er sich auf den Weg ins Eisenbahnmuseum nach Dahlhausen. „Ich bin nun mal mit dem Eisenbahnervirus infiziert“, sagt er und lacht. „Schuld“ sei der Opa, der die Begeisterung auf ihn übertragen habe. Seit rund zweieinhalb Jahren gehört Julian zu einer Gruppe, die Wochenende für Wochenende an alten Loks schraubt, Maschinenteile wartet oder Reparaturarbeiten auf dem Museumsgelände durchführt. Alles ehrenamtlich, versteht sich.
Auf dem Parkplatz kommt zeitglich auch Martin Bramkamp an. Die beiden Jungs kennen sich von der Matthias-Claudius-Schule in Weitmar. Auch Bramkamp ist so oft wie möglich mit dabei. „Ich habe ihn mal mitgeschleppt“, sagt Julian. Seitdem sind die beiden ein „Eisenbahner-Team“. Für Besucher ist das Museum zurzeit geschlossen. Winterpause. Doch Julian und Martin sind auch an diesem scheußlichen Samstag nicht allein.
Der erste Weg führt in die alte Kaue. Hier stehen Spind an Spind gereiht. Der Waschraum hat den Charme der 1950er-Jahre. Sicherheitsschuhe sind bei der Arbeit Pflicht, die grell-orangenen Jacken und Hosen nicht unbedingt. „Die braucht man aber, wenn man die Prüfung zum Rangierbegleiter ablegen möchte“, sagt Julian. Ein nächstes Ziel – aber erst nach dem Abi. Von der Kaue bis zum Lokschuppen ist es nur ein kurzer Weg, es regnet in Strömen. Zum Glück wird im Winter nur drinnen gearbeitet. Da ist es zwar nicht warm, aber zumindest trocken. Aus dem Lokschuppen sind schon von Weitem Stimmen zu hören. Die Tür steht offen. Einige aus dem Eisenbahner-Team sind offenbar schon früher gekommen. Das Projekt, das sie seit Monaten fesselt, nimmt fast die gesamte Tiefe des Gebäudes ein. Es ist eine „Preußische P8“, Baujahr 1918. Vielleicht eine der besten Dampfloks, die je gebaut wurde. So ist es zumindest im „Lok-Magazin“ zu lesen. Räder, Kessel, Instrumente und Hebel: Alles ist wuchtig. „Wir wollen sie wieder auf die Schiene kriegen“, sagt Julian. Doch das ist gar nicht so einfach. Für die „TÜV-Abnahme“, die bei Loks „Hauptuntersuchung“ heißt, musste der tonnenschwere Kollos komplett zerlegt werden. „Ihren hundertsten Geburtstag hat die P8 in Einzelteilen verbracht“, sagt Julian. „Das ist eigentlich traurig.“ Doch seitdem geht es immer weiter voran. Noch fehlen die Treib- und Kuppelstangen, die die Räder miteinander verbinden. Doch sonst sieht eigentlich schon alles wieder ziemlich fertig aus. Zumindest ür den Laien.
In den letzten Wochen und Monaten haben sich Julian und Martin vor allem um die Druckluft-Kupferleitungen gekümmert, die auf der Kesselabdeckung zu sehen sind. „Die mussten alle per Hand gebogen und befestigt werden.“ Im Führerhaus überrascht vor allem eins: Der Lokführer hat kaum Sicht nach vorn. Die Windschutzscheibe“ ist mini, der davorliegende Kessel gigantisch. „Deshalb sind Rangierbegleiter ja auch so wichtig“, sagt Julian. Ob er die Lok selbst fahren könnte? „Theoretisch würde ich das vielleicht hinkriegen.“ Praktisch sei die „P8“ aber noch nicht fahrbereit. „Wir kriegen sie zwar unter Dampf, aber sie bewegt sich nicht.“ Trotzdem kennt er inzwischen jeden Hebel, jede Funktion, jedes Risiko. Auch die Aufgaben des Heizers, der seinen Platz gleich neben dem Lokführer hat, sind ihm bestens vertraut. Ob er selbst einmal Lokführer werden möchte? „Bei der Deutschen Bahn wohl nicht.“ Und hauptberuflich wohl auch nicht. Das sei nicht spannend genug. „Mich interessieren eigentlich nur die historischen Züge.“
Julian war 13, als er ein Wochenend-Praktikum im Eisenbahnmuseum gemacht hat. Danach war das Feuer endgültig entfacht. „Das, was ich da an diesem Wochenende gemacht habe, wollte ich jedes Wochenende haben.“ Doch das ging erst nach seinem 16. Geburtstag. Seitdem gehört der Abiturient aus dem Kirchviertel fest zum Team.
An diesem Morgen muss zuerst ein Zylinder gereinigt werden – mit Druckluft und Lappen. „Da ist Dreck drin“, sagt einer der älteren Kollegen. Julian und Martin machen sich sofort an die Arbeit. „Zum Glück habe ich keine zwei linken Hände“, sagt er und schmunzelt. Zu Hause auf dem Dachboden baut der 18-Jährige auch noch an einer Modelleisenbahn, die er vom Opa geerbt hat. Doch dieses Projekt hat in letzter Zeit ein bisschen „gelitten“. Die Arbeit im Eisenbahnmuseum, die Vorbereitung aufs Abi: Da fehlte einfach die Zeit.