Opel-Doku kommt ins Kino- Zeitzeugen aus Altenbochum

Dieser Film ist eine Reise in die Herzen der Menschen. Seit 2014 haben die renommierten Dokumentarfilmer Ulrike Franke und Michael Loeken das Ende der Bochumer Opel-Ära begleitet. Sie waren in Bochum und Detroit, haben Menschen getroffen, die ihnen ganz private Einblicke in ihr Leben gegeben haben. Zu sehen sind auch zwei Zeitzeugen, die den Wandel in Bochum hautnah miterlebt haben: Liesel und Peter Riechmann aus der Dannenbaumstraße.
„We are all Detroit” heißt der Dokumentarfilm, der in diesem Frühjahr in die Kinos kommen soll. Einen Preis hat er bereits gewonnen: Als er im November beim Kinofest Lünen gezeigt wurde, haben ihn die Kinobesucher direkt auf den ersten Platz gewählt. Regisseurin Franke war begeistert. „Dokumentarfilme haben es oft schwer“, sagte sie bei der Überreichung der „Lüdia“, dem mit 15.000 Euro dotierten Filmpreis der Stadt Lünen.
Es war der letzte Arbeitstag von Opel, als die ersten Szenen von „We are all Detroit“ in Bochum gedreht wurden. Es kommen Menschen zu Wort, deren Leben fest mit der Automobil-Industrie verwurzelt war. Es geht um Wehmut, Enttäuschung, aber auch um Aufbruch und Neuanfang. „Wir wollten den Wandel dokumentieren“, sagte Loeken bei der Kino-Vorführung in Lünen. Und genau das geht auch aus dem Untertitel des Films hervor: „Vom Bleiben und Verschwinden“, steht auf den Plakaten geschrieben.
Liesel und Peter Riechmann sind Franke und Loeken bei einer Info-Veranstaltung auf dem ehemaligen Opelgelände aufgefallen. Die Autoproduktion war bereits Geschichte, jetzt ging es um die Planungen und Perspektiven für Mark 51°7, wie das Areal inzwischen heißt. Die Anwohner aus der Nachbarschaft waren eingeladen, wie auch schon einige Male zuvor. Es wurden Erinnerungen ausgetauscht, Geschichten erzählt. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gingen dabei fließend ineinander über. Die Dokumentarfilmer waren begeistert. Mehrfach waren sie danach bei Riechmanns zu Besuch. Sie haben sich alte Fotos angesehen, zugehört und viel gefilmt.
Die Eltern von Liesel Riechmann haben an der Dannenbaumstraße schon eine Gaststätte betrieben, als die Zeche Dannenbaum noch in Betrieb war. Doch dann kam das Aus – die endgültige Stilllegung im Jahr 1960. „Niemand wusste, was jetzt werden soll“, erinnert sich die gebürtige Bochumerin. „Es war eine Zeit großer Unsicherheit.“ Doch dann habe auf einmal das Wort „Opel“ die Runde gemacht. Und plötzlich sei wieder Hoffnung dagewesen. Für die beliebte Gaststätte Burkhard die sich schräg gegenüber den Altenbochumer Werkstätten befand, begannen gute Zeiten. Das Werkstor war nah, da hatten es die Arbeiter nicht weit. Vor allem, als in der Mittagspause noch Alkohol getrunken wurde und auch getrunken werden durfte, hat das Geschäft floriert. „Die Arbeiter standen da vor dem Tor, Hunderte von Opelanern“, erinnert sich Liesel Riechmann im Film. Das Bier musste natürlich vorgezapft werden. Denn viel Zeit war nicht. „Und wir waren alle glücklich.“ Man sei irgendwie eine große Familie gewesen.
Als der Dokumentarfilm im November beim Lüner Filmfestival gezeigt worden ist, waren die beiden Bochumer als Ehrengäste mit dabei. Sie wurden von einem Fahrer zu Hause abgeholt, standen dem Kino-Publikum nach der Vorführung für Fragen zur Verfügung. Auch sie hatten den Film vorher noch nicht gesehen. „Ich bin richtig gerührt“, sagte Liesel Riechmann im Anschluss. Der Film mache aber auch betroffen. Die persönlichen Geschichten, die sozialen Folgen, die Existenzängste: „Das ist Wahnsinn.“ Die Verknüpfung von Schicksalen in Bochum und Detroit hat sich offenbar im Laufe des Projekts immer mehr intensiviert. Anfangs habe man sehen wollen, wo Beginn und Ende der Bochumer Auto-Produktion besiegelt worden seien, so die Regisseure. Doch dann hätten sie auch dort Menschen getroffen, die ihnen ihr Herz geöffnet hätten. Menschen, die in einer Art Geisterstadt leben, die nach dem Zusammenbruch der Automobil-Industrie in Scharen verlassen worden ist. In Detroit soll es rund 100.000 leer stehende Häuser geben.
Die Menschen aus Bochum und aus der ehemaligen „Auto-Hauptstadt“ der USA scheinen den Regisseuren ans Herz gewachsen zu sein. Es sind Menschen auf der Suche nach einer neuen Identität. Menschen, die vor einer ungewissen Zukunft stehen und einfach nur glücklich sein möchten. Was besonders beeindruckt: Es gibt im gesamten Film keinen Sprecher, kein einziges Erklärstück. Es kommen nur die Menschen zu Wort, die Franke und Loeken bei ihrer Spurensuche begegnet sind. Drei Mal ist „We are all Detroit“ in Deutschland schon gezeigt worden – zuletzt in Lünen. Immer im Rahmen von Festivals. Wo die offizielle Kino-Premiere stattfinden wird, steht noch nicht fest. Möglicherweise sogar in Bochum. Auch dann werden Liesel und Peter Riechmann natürlich wieder mit dabei sein.
Für Franke und Loeken ist es nicht der erste Film über den Strukturwandel im Ruhrgebiet. In „Losers and Winners“ haben sie den Abbau eines Stahlwerks und den anschließenden Wiederaufbau in China dokumentiert. „Arbeit Heimat Opel“ handelt von jungen Menschen, die ihre Ausbildung bei Opel begonnen haben, obwohl die Zukunft bereits ungewiss war. Ihr letztes großes Projekt war der Dokumentarfilm „Göttliche Lage – eine Stadt erfindet sich neu“. Darin geht es um den Phönixsee in Dortmund. Dieser Film ist sogar mit dem renommierten Grimme-Preis ausgezeichnet worden.
Wer schon einmal einen Blick in „We are all Detroit“ werfen möchte: Der offizieller Trailer des Films ist im Internet unter folgender Adresse zu sehen: www.youtube.com/watch?v=90ozVyU9fYk